Freitag, 19. November 2010

Ist es “zen-mäßig”, dem Opfer die Schuld zu geben?

Samstag, 30. Oktober 2010

Ein anonymer Kommentator auf diesem Blog sagte:

Du solltest Menschen nicht als Opfer sehen, denn die Opfer sind diejenigen die Schuld haben. Ich schätze man könnte sagen, dass sie es wollten oder gebraucht haben missbraucht zu werden. Wie auch immer, diese Kontroverse scheint nicht die Zeit, Mühe und Energie zu wert zu sein die Brad ihr widmen müsste um sich überhaupt eine Meinung bilden zu können. Der Typ hat T-Shirts zu verticken.”

Dies war die Antwort auf meine Antwort zu Kommentaren bezüglich Anschuldigungen gegen einen bestimmten Zen-Lehrer. Er ist im Kommentarbereich namentlich erwähnt. Ich werde ihn aber hier nicht benennen. Im Kern habe ich gesagt, dass ich das Gefühl hatte die Angelegenheit wäre die Zeit, Aufwand und Energie nicht wert die ich ihr widmen müsste um ihr soweit auf den Grund zu gehen, dass ich mir eine Meinung bilden könnte. Es bedürfte einer Menge detektivischer Arbeit um einen Sinn darin zu finden wer was und warum gemacht hat inmitten der Gerüchteküche, die mir im Augenblick als Informationsquelle zur Verfügung steht. Ich habe die Meinung geäußert, dass es eine “Käufer, sei wachsam!”-Situation darstellt wenn du mit irgendeinem spirituellen Lehrer zu arbeiten beginnst. Selbst wenn ich herausknobeln sollte was meiner Meinung nach in diesem Fall wirklich passiert ist und meine Meinung dazu kundtun würde, würde das nicht viel Gutes tun. Nicht jeder hört mir zu und selbst wenn würde ich nur einen Typen auffliegen lassen. Ich habe weder die Zeit, die Energie noch die Neigung für die ganze Welt der spirituellen Meister Polizei zu spielen.

Ich habe einiges in meinen Büchern, auf diesem Blog und in Beiträgen die ich für verschiedene Magazine gemacht habe dazu geschrieben und auch in Interviews und öffentlichen Vorträgen darüber gesprochen, wie man daran geht die Minderheit der missbrauchenden Scharlatane zu entdecken die sich als Zen-Lehrer und sonstige Arten spiritueller Meister tarnen. Mein Freund Scott Edelstein hat gerade ein Buch mit dem Titel Sex and the Spiritual Teacher: Why It Happens, When It's a Problem, and What We All Can Do veröffentlicht. Das Buch wendet einiges an Energie auf um Probleme dieser Art anzusprechen und um zukünftige Schüler verstehen zu helfen wie man nicht in dieselben Fallen tappt wie es andere bereits getan haben.

Es ist eine Bewegung im Gange um eine Art Datenbank anerkannter Soto-Zen-Lehrer ins Leben zu rufen. Die Soto Zen Buddhist Association (SZBA) ist eine Gruppe die versucht ihre Mitglieder zu kontrollieren und die Schwindler auszusortieren. Ich gehöre der SZBA aus mehreren Gründen nicht an, eines davon wäre, dass ich denke, dass die Strategie eine Datenbank verlässlicher Lehrer anzulegen letztendlich scheitern muss. Man könnte annehmen, dass eines der Urziele der heiligen römisch-katholischen Kirche war eine Organisation zu gründen die sich selbst kontrollieren würde, damit jedes Mal wenn du deine Kinder in die Obhut der Mitglieder dieser Organisation gegeben hast du die Sicherheit hattest, dass irgendjemand verantwortlich wäre sollte irgendetwas schiefgehen. Wir wissen alle wie toll das funktioniert hat. Die SZBA scheint im Augenblick ganz gut zu sein, doch ist dies letztendlich ein von vornherein verlorenes Spiel*.

Alles was man wirklich machen kann ist allgemeine Begriffe zu benutzen. Ich benutzte die Phrase “Käufer sei wachsam” um das zum Ausdruck zu bringen. Es ist am besten seinen Bockmist-Detektor immer zu pflegen wenn man irgendeiner Art spirituellem Lehrer begegnet. Buddha selbst hat dies sogar im Kalama Sutra gesagt welches ich so oft zitiert habe das es weh tut.

Dieser Kommentar spricht allerdings einen weiteren, tieferen Aspekt an. Der Verfasser des Kommentars sagt, “die Opfer sind diejenigen die Schuld haben. Ich schätze man könnte sagen, dass sie es wollten oder gebraucht haben missbraucht zu werden.” Ich muss annehmen, dass er mir Standpunkte von denen er glaubt, dass ich sie geäußert habe, mir ins Gesicht zurückzuwerfen versucht. Aber er hat es nicht kapiert. Also versuche ich es nochmal.

Ich habe oft gesagt, dass was auch immer uns in diesem Leben widerfährt wir auf irgendeiner Ebene selbst gewollt oder gebraucht haben. Wenn ich das sage richte ich es ausschließlich nach innen, wende es auf mich selbst an. Ich betrachte niemals jemand anderes in einer beschissenen Situation und sage „Diese Person muss das gewollt haben.” Aber ich betrachte mich oft selbst in einer beschissenen Situation und frage mich „Auf welche Weise habe ich gewollt oder gebraucht, dass mir so was Beschissenes passiert?”

Die Strategie auf andere zu zeigen und zu sagen sie wollten was auch immer Furchtbares ihnen widerfahren ist bringt niemanden weiter. Ich rate dringend davon ab. Jeder wird dich hassen wenn du es laut sagst. Wenn du es nur zu dir selbst sagst wirst du am Ende selbstgefällig und herzlos rüberkommen und alle werden dich dann auch hassen. Also sage es nicht mal zu dir selbst, egal wie verlockend es sein mag. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Gehe nicht einfach drüber weg, bitte.

Aber wenn ich diese Perspektive auf mich selbst anwende wird mein Leiden einfacher zu verkraften. Ich entsinne mich an eines der ersten Begebenheiten als ich versuchte dieses Denken auf mich selbst anzuwenden. Es war in den frühen 90ern. Ich wurde brutalstens körperlich angegriffen von Leuten die ich nicht kannte aus Gründen die ich niemals herausfinden konnte. So weit ich das damals sagen konnte und heute rückblickend sagen kann war der Angriff absolut willkürlich. Und, so nebenbei, diese Typen haben definitiv versucht mich zu töten.

Ich werde hier nicht auf die ganze Geschichte eingehen. Vielleicht habe ich sie woanders erzählt, ich weiß es nicht. Wie auch immer, nach dem Angriff dachte ich für mich selbst, “Der Buddhismus lehrt, dass alles was uns im Leben widerfährt wir irgendwie gewollt haben, wie lässt sich das in diesem Fall anwenden?”

Man mag annehmen, dass diese Art des Denkens zu Schuldgefühlen führen würde und ich mich noch schlechter fühlen würde. Aber das passierte gar nicht. Als ich begann das so zu betrachten fühlte ich mich weniger wie ein hilfloses Opfer und viel mehr wie eine Person die aktiv etwas tun könnte um sein Leben zu verbessern. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich nicht wie ein Opfer der Umstände [victim of circumstance] und übernahm die Kontrolle über mein Schicksal. Hätte ich nicht begonnen so zu denken, würde ich vielleicht immer noch in Akron, Ohio leben und mich selbst bemitleiden.

Es ist mir auch egal ob diese Idee objektiv gesehen wahr ist oder nicht. Ich glaube sie ist wahr sonst würde ich sie nicht nutzen. Aber selbst wenn sich rausstellen sollte, dass ich falsch liege, diese Sichtweise war bisher so unglaublich hilfreich, dass ich sie trotzdem nicht aufgeben würde.

Obwohl ich niemals diese Denkweise auf andere anwende und sage „Ha! Sie wollten, dass diese schreckliche Sache passiert!” probiere ich diese Sichtweise anderen zu kommunizieren da sie mir so nützlich war. Gewiss liegt die Gefahr darin, dass das was ich sage von Menschen falsch interpretiert wird, so wie bei dem der den Kommentar geschrieben hat. Aber ich habe auch ganz klar gesehen, dass absolut alles was du sagst missverstanden werden kann und wird. Selbst wenn du ein Schweigegelübde ablegst, auch das kann und wird fehlinterpretiert werden. So ist das Leben.

Ich möchte mich auch bei dem Verfasser des Kommentars dafür bedanken, dass er auf die Verfügbarkeit einer stetig wachsenden Auswahl attraktiver T-Shirts hingewiesen hat welche von mir bei http://www.redbubble.com/people/bradwarner entworfen wurden. Hol dir deins heute!

Und solltest du in Montreal sein und mit mir darüber reden wollen gehe gegen 19 Uhr zu Chapters bookstore downtown wo ich Bücher signieren werde.



*Was nicht heißen soll, dass ich niemals der SZBA beitreten werde. Vielleicht eines Tages. Aber nicht weil sich meine Meinung zu diesem besonderen Punkt verändern würde.

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